
Zwischen Arcade und (ein wenig) Realismus
Das Gameplay in Steep ist nicht vergleichbar mit SSX oder Konsorten. Snowboard und Skier fühlen sich sehr flüssig an, aber das Trickarsenal ist sehr beschränkt. Wenn man bis die Mechanik verstanden und das knifflige Timing gemeistert hat, wird aber aus den vermeintlich realistischen Tricks schnell mal ein übertriebener doppelter 720° Backflip mit getweaktem Mutegrab von einer Minirampe auf ein Dach einer Holzhütte. Es gibt in Steep zwar eine Art Gesundheitsanzeige eures Charakters (G-Anzeige, die zeigen soll, wie viel Kraft gerade auf euren Boarder einwirkt), die nach einer unsauberen Aktion erstmal wieder regenerieren muss; dennoch haltet ihr erstaunlich viel aus.
Wenn ihr dann aber doch einmal mit voller Wucht mit dem Wingsuit gegen einen Baum rast oder euer Board an einem Stein hängen bleibt, dann kommt es zu einem wunderschönen, urkomischen Ragdolleffekt, bei dem euer Charakter kilometerweit den Berg hinabrutscht. Die ungewollte Komik wirkt aber ein wenig deplatziert zu dem eigentlich erhabenen Eindruck, den das Spiel vermitteln soll.
Wo Steep aber dann richtig glänzen kann, ist – insofern man sich drauf einlässt – in der absoluten Freiheit gepaart mit schönen Landschaften. Es ist ein beeindruckendes Gefühl, mit dem Snowboard einen enormen Berg hinunterzufahren, den Gleitschirm auszupacken um auf eine andere Spitze zu fliegen und sich dann mit dem Wingsuit herunterzustürzen – einfach nur, weil man es kann! Nebenbei absolviert man ein kleines Rennen, versucht sich im Trickevent im Funpark, und erkundet den Rest des Berges. Wenn man dann bei Sonnuntergang entspannt im Powder zwischen Bäumen hinuntergleitet, dann fasziniert Steep außerordentlich und macht richtig Spaß. Die Integration der anderen Spieler in der offenen Welt funktioniert ebenfalls erstaunlich gut. Manchmal ist man einfach nur damit beschäftigt, anderen beim Fahren zuzuschauen.
Es ist nicht alles ein gutes Snowboardspiel, was glänzt
Die guten Eindrücke sind jedoch auch häufig gepaart mit negativen Aspekten, die bei Steep dazwischenfunken. Neben der permanent erforderlichen Internetverbindung und nervigen Serverproblemen (unten mit "Technik" bewertet) gibt es auch andere negative Aspekte. Das erste, was mir sofort auffiel, ist die praktisch nicht vorhandene Rahmenstory oder Einführung. Man startet auf einem Berg und los geht’s. Das wirkt etwas traurig und auch etwas seltsam. Wer ist das überhaupt, den ihr da kontrolliert und mit dem ihr den Berg hinunter rast? Euer Charakter kann nur nachträglich mit erworbenen Klamotten personalisiert werden, allgemeines Aussehen oder gar Geschlecht könnt ihr nicht bestimmen.
Aber abgesehen von optischen Veränderungen gibt es auch kein wirkliches Fortschrittssystem in Steep. Euer Charakter fährt und fliegt von der ersten Minute an gleich wie auch später im Spielverlauf. Es gibt keine besseren oder anderen Boards oder Skier, es gibt keine Wingsuits, dessen Flugverhalten sich von anderen unterscheiden würde. Mehr als schade.
Auch wenn der Sound sehr gut daherkommt (Windböen, knirschender Schnee usw.) ist die Grafik, obwohl das Spiel sehr schön aussieht, nicht perfekt. Glitches und unglaublich viele Pop-Ups (Bäume, die ein paar Meter vor einem erst Stück für Stück auftauchen) sorgen nicht nur optisch für Ärgernisse, auch fürs Gameplay kann es fatal sein, wenn ich im Wingsuit das Hindernis erst spät zu Gesicht bekomme.
Nebenbei fragt man sich zurecht, ob „Open World“ in einem Snowboardspiel (ich nenn es einfach mal so, denn, wer will schon Ski fahren? Prince Charles? Und Wingsuit ist zwar cool, aber hier kann man wenig Tricksen. Und Paragliding ist so stinklangweilig und langsam, dass man das nur spielt, um einen coolen Screenshot zu machen oder an eine schwierige Stelle zu kommen…) sinnvoll ist. Open World und Erkundung, bei der man eigentlich immer bergrunter fährt und nicht so schnell wieder zurückgehen kann, wenn man den einen Hügel verpasst hat, wirkt anstrengend. Außerdem ist die komplette Freiheit zwar ganz schön, doch fehlt es mir persönlich manchmal etwas an Motivation, das hundertste Rennen erst einmal zu finden und dann auch zu absolvieren.
Alles in allem muss ich leider sagen, dass mein Eindruck, den ich auf der Gamescom vom Spiel bekam, voll und ganz bestätigt wurde. Steep fühlt sich zu sehr 0815 an und kann in keiner Domäne vom Hocker reißen.
Fazit
Steil den Berg hinab… und gegen den Baum gerannt. Steep kann nicht auf voller Linie überzeugen. Es glänzt, wenn man die offene Welt bei Sonnenuntergang auf seinem Snowboard erkundet, nebenbei frei nach eigenem Ermessen Events verfolgt und sich mit anderen Spielern in Wingsuitrennen misst. Doch wenn dann die Server von Ubisoft streiken, bei einer rasanten Fahrt ein Baum aus dem Nichts erscheint, oder wenn durch die ganze Offenheit und das Fehlen jeglicher umrahmender Story einfach die Motivation fehlt, dann kann Steep einen einfach nur nerven.
Das Gameplay ist nicht revolutionär, Paragliding ist langweilig und die Bergansicht überfordernd. Steep zu bewerten ist schwierig, da es viele positive Aspekte hat, viele komplexe Gameplayfeatures beinhaltet und durchaus viel Spaß machen kann – doch auf der anderen Seite hat es auch viele negative Aspekte, die nicht so wirklich begeistern. Zwei Seelen wohnen, ach! in Steeps Brust. Wer mit dem Open-World-Genre in einer Schneewelt etwas anfangen kann, der ist sicherlich mit Steep gut beraten. Alle Fans von SSX sollten vielleicht lieber auf ein anderes Snowboardspiel warten.
Bewertung
Pro
- Hübsche, abwechslungsreiche Map
- Gute Soundatmosphäre
- Gameplay flüssig
- Fliegender Wechsel von Snowboard, Skier, Wingsuit und Gleitschirm
- Schier unendliche Anzahl an Erkundungsmöglichkeiten und Events
Contra
- Internetzwang und Serverprobleme
- Einige Glitches und Grafik-Pop-Ups
- Keine Story
- Nichts "Besonderes"
- Dem Open-World-Szenario kann es an Motivation fehlen
- Spielmechanik immer gleich (keine neuen/besseren Boards usw.)
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