
Ernüchterung überall
Das große Problem von Late Shift ist, dass es aus vielen guten Zutaten nicht das Richtige macht. Meines Erachtens liegt es größtenteils an dem sehr schwachen Drehbuch, welches voller Inkonsequenzen, offenen Fragen und klischeehaften Nebencharakteren besteht. Die Schauspieler sind sehr gut, die visuellen Eindrücke faszinierend (wobei das Spiel auf der Day One Xbox One öfter ruckelt) und die gesamte Vertonung auch – doch was nutzt mir das, wenn ich trotz alledem nicht wirklich mit den viel zu unbekannten und knapp eingeführten Charakteren mitfühlen kann? Mehr als ihre Namen und einen ganz vagen Charakterzug werde ich nicht erfahren. Dem Drehbuch ebenfalls nicht günstig ist die Tatsache, dass der komplette Film lediglich während einer einzigen Nacht, bzw. einem Tag abspielt. Die Zeitspanne ist viel zu kurz, die Handlung kann sich nie groß entfalten und bleibt stets zu unspannend, als dass ich groß mitfühlen könnte.
Da der Fokus aber so sehr auf „Entscheidungen“ beruht, reizt das Spiel, vor allem mit seinem Schluss und dem Hinweis darauf, wie viele Kapitel und Enden man bisher freigeschaltet hat, das Ganze dann erneut zu spielen. Diesmal geht man dann den ganz anderen Weg und versucht z.B. ganz bewusst, Matt zu sabotieren. Resultat? Im Prinzip der gleiche Film, mit den gleichen Szenen, nur ein paar Sachen sind mal hier und da verschieden. Wirklich zu Schaden kommt niemand. Dabei dauert ein „Spielgang“ zwischen einer halben bis anderthalb Stunden. Auch werden einige Entscheidungen beim zweiten Durchspielen als noch viel offensichtlicher enttarnt und verlieren so ihren Reiz. Dazu sei gesagt: Selbst bei weiteren Durchläufen kann keine Filmsequenz übersprungen werden, auch wenn ihr sie bereits öfter gesehen habt. Das kann das Freischalten von ein paar letzten Erfolgen, die an ganz bestimmte Entscheidungen gebunden sind, zu einer langatmigen und langweiligen Tortur werden lassen! Die fehlende Möglichkeit zum Überspringen, Kapitel auswählen oder Zurückspulen ist eine Katastrophe bei einem Spiel, das will, dass man immer wieder versucht auch die letzten Enden freizuschalten. Ich habe einfach keine Lust mir die gleichen 60 Minuten noch einmal anzusehen, bis dass ich die Story wieder in eine andere Richtung treiben darf, bzw. damit ich mit der EINEN Entscheidung (z.B. zu gehen oder zu warten) tatsächlich ein anderes Ende sehe...
Zeitweiliges Amüsieren – leider auch über die Übersetzung
Eine Empfehlung: Das Spiel auf Englisch spielen! Denn schaltet ihr es auf Deutsch (es gibt nur deutsche Untertitel, der Film bleibt auf Englisch), so werdet ihr plötzlich nicht mehr schlau aus der Geschichte. Dass man es sich bei dieser hochkarätigen Produktion offensichtlich nicht leisten konnte, ordentliche Übersetzer zu leisten, ist mehr als jämmerlich. Bereits das Menü lässt einen weinen, wenn die Übersetzung von „Endings unlocked“ plötzlich „Ende frei“ lautet und bei „Ihr Entscheidungen“ offensichtlich ein „e“ vergessen wurde. Selbst Google Translate liefert bessere Ergebnisse.
Ganz nebenbei sind die Untertitel eine ebenso große Katastrophe. Voller Fehler, falscher Übersetzungen und außerdem vollkommen asynchron. D.h. dass Gesprochenes mit den Untertiteln nicht übereinstimmt und erst später erscheint, oder in einer Szene, in welcher der Protagonist einfach nur ruhig grübelt plötzlich Dialoge stehen, die in der letzten Szene gefallen sind (wohl gemerkt: auf Englisch ist alles korrekt, auch die Untertitel!)…
Aber abgesehen von all den negativen Aspekten, die ich jetzt genannt habe, kann Late Shift dennoch Spaß machen. Es ist bei weitem kein Glanzstück, aber durch die guten Schauspieler und dem zumindest teilweise prickelnden Gefühl, eine wichtige Entscheidung getroffen zu haben, kann man durchaus unterhalten werden. Es gibt schlechtere FMV-Spiele, aber es gibt auch bessere. Das erste Spiel der Entwickler, The Bunker, hat eine deutlich interessantere Geschichte, bietet mehr Interaktion und ist viel konsequenter. In Late Shift hat man am Ende das Gefühl, da hätte noch mehr kommen müssen. Schade!
Fazit
Es sieht von außen sehr spannend aus und bietet hochkarätige und überzeugende Bildgewalt. Doch letzlich kann Late Shift nicht wirklich überzeugen. Das unglaublich schwache und langweilige Drehbuch schafft es zu keinem Zeitpunkt, dass man mit den Charakteren des interaktiven Filmes wirklich mitfühlen kann. Gameplay-Entscheidungen wirken minimal, jeder der sieben Schlussszenen wirkt unabgeschlossen.
Hinzu kommen leichte Ruckler, nicht überspringbare Filmsequenzen in erneuten Durchgängen und eine katastrophale Übersetzung. Obwohl Late Shift zwischenzeitlich spannend ist und mich persönlich mit seinem Stil, dem Spieler bei jeder getroffenen Entscheidung ein schlechtes Gewissen zu machen, unglaublich wurmt (im positiven Sinne), so kann es schlussendlich einfach nicht überzeugen. Zu viele Ungereimtheiten, zu viele Inkonsequenzen und eine insgesamt einfach nicht wirklich dramatische Geschichte hinterlassen einen faden Nachgeschmack. Zumindest ist das Spiel nicht sonderlich teuer!
Bewertung
Pro
- Zweites Mal Durchspielen ist recht spannend
- Allgemein gutes Action-Kino (gute Schauspieler usw.)
- Entscheidungen hinterlassen stets ein schlechtes Gewissen
- Insgesamt 180 mögliche Entscheidungen und 7 verschiedene Enden
Contra
- Uninteressantes, unlogisches Drehbuch
- Leichte Ruckler in einigen Szenen
- Katastrophale Übersetzung
- Entscheidungen haben keine großen Auswirkungen
- Inkonsequente und uninteressante Protagonisten
- Beim erneuten Spielen keine Kapitelauswahl, kein Überspringen von Szenen und kein Zurückspulen möglich
1 Kommentar
XBU MrHyde Fr, 28.04.2017, 10:35 Uhr
Ich hatte mir deutlich mehr Spaß beim Anschauen / Handeln erhofft. Klingt ja doch nicht so prickelnd.