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Mit einer ganz speziellen Ästhetik, einem Fokus auf einer sehr ruhigen, mysteriösen Atmosphäre und einer wahnsinnig großen Anzahl an unglaublich komplexen Rätseln kommt: The Witness. Der Indietitel verspricht ein Spiel der etwas anderen Sorte zu sein und wir berichten euch in unserem Review, warum eure Frustrationsgrenze unter Umständen schnell ausgereizt ist.

Wo bin ich? Was mache ich hier?

Ganz im Stile einiger anderer mysteriöser Indietitel, die einen inmitten einer Spielwelt absetzen und auf jegliche Art von Einführung, Story oder Tutorial verzichten (z.B. Dear Esther), startet ihr in The Witness ebenfalls irgendwo im Nirgendwo. Mittels des einzigen Interaktionsbuttons A (ja, es gibt noch B zum Abbrechen und LT zum Sprinten) löst ihr euer erstes "Rätsel", indem ihr eine Tür öffnet. Das Spiel gibt euch gar keine Instruktionen, warum ihr was, wie machen sollt, wird nie erklärt.

Man stellt nur fest: Es gilt, labyrinthartige Rätsel zu lösen, die auf diversen Bildschirmen erscheinen. Doch einfach sind diese Rätsel bei weitem nicht. Denn jeder Bildschirm, jede Art von Rätsel hat seine eigenen "Regeln". Es gilt zwar immer, irgendwie vom Start zum Ziel zu kommen, aber wie genau man dies erreichen kann, müsst ihr selbst herausfinden. Und das kann manchmal nicht so einfach sein...

Wer eine kleine Frustrationsgrenze hat, was das Lösen von Rätseln angeht, sollte The Witness besser nicht spielen. Denn das Problem ist tatsächlich, dass nicht unbedingt die Lösung der Rätsel schwierig ist, sondern was genau man überhaupt von euch will. Es ist ein wenig so, als ob man euch eine Matheaufgabe stellt, in der es nicht gilt, das Resultat der Rechnung zu finden, sondern wie es zum Resultat gekommen ist. Und euch aber nicht verrät, dass ihr in dieser Rechnung nicht addieren, sondern nur subtrahieren dürft. Oder nur gerade Zahlen benutzen dürft. Oder, dass die Zahlen, die ihr benutzen dürft, als Form von Schatten in der Welt versteckt sind... Ohje.

Macht euch auf sehr, sehr schwere Rätsel gefasst

Wie im Abschnitt davor erklärt, ist das Hauptgameplay von The Witness das Lösen von Labyrinth-Rätseln auf Bildschirmen. D.h. die meiste Zeit verbringt ihr nicht in der Welt, sondern starrt auf ein kleines Bild und versucht eine Linie vom Start zum Ziel zu ziehen. Doch das ist keine leichte Aufgabe...

Besonders schwer wird das Lösen dadurch, dass euch keine Parameter bekannt sind (ihr müsst z.B. selbst herausfinden, dass es für die Lösung oftmals Hinweise in der Umgebung gibt) und die Spielwelt von Anfang an komplett verfügbar ist. Allerdings sind einige Rätsel anfangs scheinbar unlösbar, weil sie unglaublich komplex wirken und Lösungstechniken beinhalten, die ihr noch gar nicht kennt. So findet ihr häufig irgendwelche Terminals mit Rätseln, die anfangs erst einmal nicht lösbar sind. Erst wenn man in einem anderen Areal sozusagen das "Tutorial" für eine bestimmte Art von Rätsel überstanden hat, versteht man, was das Spiel von einem will und kann mittels der neu erlernten Symbole und Regeln ggf. andere Terminals lösen.

Und das ist ein großes Problem, meines Erachtens nach. Gerade dadurch, dass das Spiel einem alles offenlässt, einem die schwersten Rätsel überhaupt bereits am Anfang zeigt, kann es unglaublich frustrierend sein. Denn man weiß ja eben nicht, dass das ggf. nur die "Endrätsel" sind. Verzweifelt habe ich versucht, ein Rätsel zu verstehen, das ich noch gar nicht verstehen konnte. Das ist ungefähr so, als ob euer Mathelehrer euch in der ersten Klasse bereits Integralrechnung zeigt, euch solche als Bonushausaufgaben gibt, ihr aber noch nicht einmal gesehen habt, wie man eine Quadratwurzel zieht... Vielleicht schafft ihr die Bonushausaufgabe ein paar Jahre später, wenn ihr Integrale gelernt und verstanden habt – aber dann müsst ihr euch noch daran erinnern, wo diese Hausaufgabe denn noch mal rumliegt…

Und die Rätsel haben es in sich, selbst wenn man die Regeln kennt. Seht euch den Screenshot hier an. Achtung Spoiler! Ich verrate euch die Regeln, die man beim Ziehen der Linie vom Start (runder Punkt in der Ecke) zum Ziel (oben rechts) beachten muss: 1. Man kannüber jede Linie nur einmal drüberfahren (Linien können sich nicht kreuzen - diese Regel gilt nicht nur für dieses, sondern für alle Rätsel). 2. Man muss alle schwarzen Punkte aufsammeln. 3. Weiße und schwarze Quadrate dürfen nie in einem gleichen Feldbereich sein und müssen durch eine Linie getrennt sein (der Rand des Spielfeldes zählt dabei ebenfalls als Grenze). 4. Die winzige (hier: lila) Dreiecksform gilt als Anullierungsegel. Das Symbol annuliert eine einzige der vorigen Regeln in dem Bereich, in dem es eingekreist ist (z.B. kann man dann einen schwarzen Punkt nicht aufsammeln, das Symbol kompensiert das dann).

Und: Den richtigen Weg schon gefunden??

Schnell ist klar: Selbst, wenn einem die Regeln der Rätsel bekannt sind, bleibt es dennoch schwierig, sie zu lösen. Ganz abgesehen davon, dass viele Rätsel im Spiel eigentlich ohne einen Stift und Papier (um sich Wege oder Hinweise aufzuschreiben) unmöglich sind. Aber, das muss man zugeben: Sie sind stets strikt logisch, nachvollziehbar und die Lösungen sind immer durch die Umgebung oder Regeln herauszufinden. Kein Rätsel ist willkürlich, ohne Sinn, auch wenn es anfangs so erscheint.

Durch die Vielzahl und Komplexität an Rätseln, durch die wenigen Hinweise und die große Karte, ist der Umfang des Spiels enorm. Wer das Spiel ganz alleine, ohne Hilfe und Komplettlösung, oder nur mit wenigen Hinweisen schaffen möchte, der kann locker hunderte an Stunden mit Knobeln verbringen. In dieser Hinsicht ist das Spiel richtig oldschool. Da man keine Karte hat (außer auf dem Boot, das man aber erst einmal finden muss), muss man sich selbst eine Karte zeichnen, in der man die verschiedenen Terminals und Rätsel, die man gefunden hat, markiert.

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Fazit

Vorneweg: The Witness ist kein Spiel für jedermann. Der Fokus des Spiels liegt komplett auf komplexen Rätsel, dessen Bedingungen zum Lösen nicht klar sind und teilweise erst aus der Umgebung herausgelesen werden müssen. Gerade die Tatsache, dass das Spiel einen aber so überhaupt nicht an der Hand führt, auf jegliche Art von Tutorial oder geradliniger Anleitung verzichtet, macht das Verstehen und Ergründen des Spiels zu einer Frustprobe. Wer sich durchkämpft, Notizen macht und für die diversen Rätsel Stift und Papier bei Hand hat, der kann aber eine unglaubliche hohe Vielzahl an Rätseln, Easter Eggs und Herausforderungen finden. Wer einmal die Spielmechaniken verstanden hat, riskiert nicht mehr davon loszukommen und Stück für Stück weiterknobeln zu wollen.

Optisch bietet uns Witness ein wunderschönes Naturspektakel mit diversen Landschaften. Leider ist aber die Spielatmosphäre nur anfänglich mysteriös, denn nach den ersten Stunden der Erkundung ist die bunte Naturwelt etwas zu viel des Guten und die Tatsache, dass man komplett alleine auf einer großen Insel ohne Ziel oder Grund umherläuft, ist ebenfalls ausgelutscht. Das wirkt aus meiner Sicht eher programmierfaul, als wirklich kunstvoll. Schlussendlich kann man sagen: The Witness ist ein einzigartiges Spiel, mit einzigartigen, überaus komplexen Rätseln. Es ist definitiv einen zweiten Blick wert, es wird seine Anhänger aufgrund der speziellen Atmosphäre sicherlich finden, aber aufgrund mangelnder Storyumrahmung, teilweise frustrierenden Rätsel und mangelndem Sinn im Gameplay, bleibt es bei weitem hinter seinem Potential.


Bewertung

Pro

  • Sehr großer Umfang und Spieldauer
  • Schöne, abwechslungsreiche Umgebungen
  • Komplexe, aber machbare Rätsel
  • Mysteriöses Setting
  • Lösen der schwierigen Rätsel kann motivieren

Contra

  • Keine Story, keine Einführung
  • Frustmomente vorprogrammiert
  • Pseudo-Ästhetik kann langweilig werden
  • Fehlen von Hintergründen, Geschichte oder Anleitung lässt die schwierigen Rätsel sinnlos erscheinen
  • Wenig Bewegungs- und Interaktionsmöglichkeiten
  • Nur für ein kleines Publikum ansprechend

Grafik / Atmosphäre 8 von 10
8/10
Story / Setting 4 von 10
4/10
Spielspaß 6 von 10
6/10
Frustgrenze 3 von 10
3/10
Gameplay 6 von 10
6/10
Umfang / Komplexität 10 von 10
10/10
7

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