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Die Jungs von Warhorse Studios haben sich mit dem Spiel Kingdom Come Deliverance Realismus auf die Fahnen geschrieben und wollen mit dem Rollenspiel neue Maßstäbe setzen. Keine Drachen, kein Fantasy, sondern pures Mittelalter soll geboten werden. Wir haben uns das Schwert auf den Rücken geschnallt und haben uns für euch der Herausforderung gestellt.

Kein mächtiger Krieger

Im Gegensatz zu den sonst üblichen Rollenspielen spielt man hier keinen harten Haudegen, der von Anfang an über mächtige Fähigkeiten verfügt. Ganz im Gegenteil. Man übernimmt die Rolle von Heinrich, der als Sohn des Schmieds von Kämpfen und von der großen weiten Welt keine Ahnung hat. Sogar das Schmieden muss er noch lernen.

Heinrich lebt in Böhmen, das derweil stark gebeutelt wird. Der Tod des Königs stürzte das Land in dunkle Zeiten. Da der amtierende Sohn Wenzel lieber seine Zeit in Freundenhäusern verbringt, als sich mit der Verantwortung des Regierens zu beschäftigen. Sein schlauer Bruder und König von Ungarn Sigismund nutzt diese Schwäche gnadenlos aus und entführt Wenzel. Das daraufhin herrscherlose Böhmen wird geplündert und von seinen Truppen beraubt, wo es nur geht.

Heinrich muss derweil eine Auftragsarbeit für den Herrn Ratzig anfertigen, der gegen die Invasion einen letzten Widerstand bildet. Ein besonderes Schwert soll es sein und somit werden wir losgeschickt, um dessen Teile zu besorgen. Fortan beginnt das Abenteuer seinen Lauf zu nehmen.

Nix für Anfänger

Schnell wird klar, das Spiel nimmt einen wenig an die Hand. Wer noch nie mit Rollenspielen zu tun hatte, wird sich eventuell mit dem Titel schwer tun. Es gibt zwar etwas Orientierung in Form einer Karte, aber keine leuchtenden Spuren, keine Layovers und auch keine Minimap. Dafür aber immerhin Quest Marker. Insgesamt fördert das Spiel auch eher ein Mitdenken, denn ein treudoof Hinterherlaufen. Es gibt nahezu immer mehr als eine Option, um eine Situation oder auch eine Aufgabe zu lösen. Doch Vorsicht, wer zu lange zögert, der verpasst unter Umständen seine aktuelle Quest. Die findet dann ohne den Mitspieler statt.

Hinzu kommt ein eher ungewöhnliches Speichersystem. Automatisch speichert das Spiel nur bei Fortschritten in der Hauptquest oder nach dem Schlafen im eigenen Bett. Ein manuelles Speichern ist nur dann möglich, wenn gerade sogen. "Retterschnaps" zur Verfügung steht. Dieser ist extrem teuer und am Anfang fast nicht zu bezahlen. Das hat zur Konsequenz, das man ohne diesen Schnaps zwei Stunden lang spielen kann, dann womöglich von Räubern geplättet wird und alles bis zum letzten Speicherpunkt verloren hat.

Darüber hinaus hat Heinrich auch durchaus menschliche Bedürfnisse. Er muss essen, er braucht eine gewisse Menge an Schlaf und kann nur extrem wenig einstecken. Zudem wird die Nahrung nach einer Weile schlecht und kann nicht mehr ohne negative Folgen gegessen werden. Es wird also ein dementsprechendes Ressourcenmanagement vom Spieler gefordert.

Kreativität wird belohnt

Eine Besonderheit von Kingdom Come Deliverance ist die Vielzahl der Möglichkeiten, die einem das Spiel bietet, eine bestimmte Quest bzw. ein Problem zu lösen. Sind die Banditen zu mächtig, um besiegt zu werden? Warum also nicht einfach ihre Nahrung vergiften? Oder sich des Nachts anschleichen und sie im Schlaf ermorden? Oder...

Wer sich die Mühe macht und vorher überlegt, wie man Dinge lösen kann und ausprobiert, wird nicht wie in anderen Spielen hart auf den Boden der Realität geholt, sondern kann tatsächlich alternative Lösungswege finden. Das macht dem Rollenspielerherz natürlich umso mehr Spaß.

Der Priester will sein Gelübte nicht brechen, um die Location eines Schurken zu verraten? Wie wäre es also, wenn man diesem erst genügend Alkohol einfließen lässt? Oder womöglich braucht man den Priester eigentlich gar nicht, um an diese Information zu kommen? Die Antworten herauszufinden macht einfach unheimlich Spaß. Allerdings erfordert es auch ein gewisses Maß an Zeit, um sich der Aufgabe zu stellen.

Rückkehr der Alchemie

Wer sich die Mühe macht und sich mit der Alchemistischen Kunst vertraut macht, wird reich belohnt. Denn damit lassen sich viel kostengünstigere Rettungschnäpse brauen, um manuell Speichern zu können. Doch auch hierzu muss man wiederum einige Voraussetzungen schaffen. Beispielsweise kann Heinrich am Anfang noch nicht lesen. Ein Schreiber muss also zunächst gesucht und aufgefunden werden, der bereit ist, für Geld einem die Kunst des Lesens beizubringen.

Wer all dies bewerkstelligt hat, kann selbst neue Rezepturen erforschen und dafür die dementsprechenden Kräuter suchen und pflücken. Dazu gibt es dann widerum den Skill "Kräuterkunde", den man leveln kann.

Umfangreiches Skill-System

Bei den Skills hat sich Warhorse richtig ins Zeug gelegt. Es stehen umfangreiche Skills wie Redekunst, Heimlichkeit, Schwertkampf, Axtkampf, Reiten usw. zur Verfügung, die sich dann durch einzelne Perks noch verbessern lassen. Doch man kann hier keine Skills einfach so durch XP vergeben. Vielmehr lernt Heinrich einen Skill, indem er ihn benutzt. Will man also bspw. besser im Schlösser Knacken werden, so muss man halt mehr diese Tätigkeit ausüben. Usw.

Bei der Redekunst verhält es sich ähnlich. Wobei das Dialogsystem wiederum drei wesentliche Optionen bietet. Man kann durch seine Redekunst überzeugen, durch Dominanz oder durch seinen Ruf. Die richtige Wahl der jeweiligen Option bestimmt über Erfolg und Misserfolg im Gespräch. Jeder Bürger hat andere Stärken und Schwächen, die es zu nutzen gilt. Auf diese Weise lässt sich so mancher Disput ohne Kämpfen schlichten und man erhält oftmals die begehrte Information schon viel früher.

Die Kehrseite der Medaille

So spannend die vielen Möglichkeiten in Kingdom Come auch sind, umso ärgerlicher sind leider die Verfehlungen. Die wollen wir euch natürlich nicht verschweigen. Warhorse setzt zwar auf die bewährte Cry Engine, die schöne Landschaften und Außenumgebungen mit vielen Effekten zaubert, hadert allerdings mit der Technik dabei. Zum einen gibt es immer wieder störende Ruckler, die sogar auf der Xbox One X auftreten, zum anderen sehen die Innenreiche eher mau aus. Texturen sind teilweise matschig und eintönig gehalten. Und es gibt hin und wieder auch sehr wenig Objekte in Häusern / Räumen. Beispielsweise gibt es Räume mit nur einem Tisch in der Mitte. Das wirkt dann doch ein wenig kahl.

Das Reiten, das im Spiel eine wichtige Rolle einnimmt, ist auch als seltsam zu bezeichnen. Das "Pferd" steuert sich eher wie ein Kettenfahrzeug, da man unabhängig von der Laufrichtung einen großen Drehwinkel hat. Gerade wenn man sich umschaut, sucht man dabei dann ähnlich wie bei einem Panzer zwar nicht die Kanone, sondern den Hals des Pferdes als Orientierung, um zu wissen, wohin man gerade reitet. Dazu kann das Pferd ganze Zäune überspringen, bleibt aber dann an einem 10cm hohen Busch hängen, was dann auch schnell zum Tode führen kann, wenn man von Angreifern gejagt wird.

Der K(r)ampf ist auch umständlich. Zwar mutet das System an "For Honor" an, indem man in verschiedene Richtungen Angreifen und Paraden ausführen kann, aber in der Praxis fühlt sich der Kampf eher störrisch an. Sodass es häufig eher einem Glückspiel anmutet, einen Kampf zu gewinnen.

Auch das Bogenschießen ist seltsam. Es gibt kein Fadenkreuz um zu zielen. Ok, soweit noch nicht dramatisch. Aber beim Schießen muss man den ganzen Bogen immer mehr als einen Meter weit nach rechts und nach unten halten, um das Ziel in der Distanz zu treffen. Wer jemals einen Bogen in der Hand gehalten hat, weiß, dass das totaler Schwachfug ist.

Es gibt noch weitere Nervigkeiten, die ich jetzt nicht alle aufzählen will, aber eine muss ich noch loswerden. Das Schlösser Knacken! Hier hat sich Warhorse einen Schnitzer geleistet, der auf der Konsolenwelt schon derbe anmutet. Das Minigame wurde 1:1 vom PC portiert und macht für Analog-Sticks einfach keinen Sinn. Dieses Minispiel ist so fummelig, dass so manch einer daran verzweifeln wird. Die Foren sind voll von Spielern, die sich darüber beschweren. So voll allerdings, dass sich die Entwickler bereit erklärt haben, einen Patch herauszubringen, der das Minispiel für die Konsolen anpassen soll. Zur Zeit unseres Tests mit dem letzten installierten Patch der Version 1.2 war dies allerdings noch nicht der Fall.

Fazit

Mit Kingdom Come Deliverance haben die Warhorse Studios ein ungeschliffenes Juwel für Fans des Mittelalters und von Rollenspielen erschaffen. Die herrlich entschleunigte Atmosphäre ist toll und eine spannende Geschichte rundet das Erlebnis ab.

Allerdings gibt es viel zu meckern. Gerade bei der Technik zeigt das Spiel in Form von Rucklern und Bugs seine Schwächen. Das Knacken von Schlössern ist zudem auf der Konsole eine Zumutung.

Das Speichersystem, das einen nur begrenzt speichern lässt und die komplexe Welt werden viele Anfänger allerdings abschrecken. Hier verspricht Warhorse aber Nachbesserung.

Wer sich mit den Mängeln dennoch abfinden kann, wird mit einer reichen Spielerfahrung belohnt, die ihresgleichen sucht. Alle anderen sollten lieber ein paar Monate warten, bis zumindest die gröberen Probleme beseitigt wurden.


Bewertung

Pro

  • Unglaubliches Detail an spielerischen Möglichkeiten
  • Spannende Quests
  • Tiefgreifender Skillbaum
  • Handlungen und Entscheidungen haben tiefgreifende Konsequenzen
  • Umfangreiches Alchemie-System
  • Open World
  • Schöne Story

Contra

  • Anfänger werden es schwer haben
  • Viele Bugs
  • Nicht ganz zeitgemäße Grafik
  • Schlösserknacken frustrierend portiert
  • Dürftiges Speichersystem
  • Deutsche Synchro ist nicht lippensynchron

Grafik 6 von 10
6/10
Sound 7 von 10
7/10
Story / Atmosphäre 8 von 10
8/10
Gameplay 7 von 10
7/10
Spielspaß 7 von 10
7/10
Umfang 8 von 10
8/10
7

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